Die neuen Kultklassiker: Wie ein Londoner Filmkollektiv für wahre Repräsentation auf der Leinwand eintritt
Als Reaktion auf die mangelnde Vielfalt auf der Leinwand gründeten zwei in London lebende Women of Colour – Isra Al Kassi und Angela Moneke – 2015 TAPE Collective. Die Mission der Basisorganisation: Filme mit Fokus auf Identität und Erbe zu fördern und sie durch regelmäßige Vorführungen, Veranstaltungen und Fragerunden einem interessierten neuen Publikum nahezubringen.
„Angie hat einmal gesagt, dass wir Filme feiern, die Kultklassiker sein könnten, weil es darum geht, wie wir sie präsentieren und Diskussionen um sie herum anstoßen“, erklärt Al Kassi. Zu den Höhepunkten des TAPE-Angebots gehören die monatlich stattfindenden Nolly Nights mit Filmvorführung und anschließender Party, die nigerianisches Kino, Musik und Essen vereint; Trippin’ Over My Tongue, ein in britischen Kinos gezeigtes Kurzfilmprogramm von Filmschaffenden gemischter Herkunft, die die Bedeutung ihrer Muttersprache untersuchen; und Foresight, das Science-Fiction-Filme von Regisseur*innen of Colour in Zusammenarbeit mit dem britischen Fernsehsender Channel 4 und Mind Over Matter, einer gemeinnützigen Organisation für psychische Gesundheit, zeigt.
Doch das ist längst nicht alles. TAPE veröffentlicht auch Essays (sowohl in schriftlicher als auch in visueller Form), erstellt Zines, veranstaltet Online-Kunstausstellungen und stellt auf seiner Streaming-Plattform Good Wickedry jede Woche einen Kurzfilm online vor. 2021 übernahm das Kollektiv für eine Woche das Southbank-Kino des British Film Institute und dessen Online-Plattform und präsentierte ein Programm mit dem Titel But Where Are You Really From? (Aber woher kommst du wirklich?). Mit Filmen und Gesprächen, die von Die Schwarze aus Dakar, dem Film des gefeierten senegalesischen Regisseurs Ousmane Sembène aus dem Jahr 1966, bis hin zu einem Gespräch mit Nikesh Shukla, dem Herausgeber der Essaysammlung The Good Immigrant aus dem Jahr 2016, reichten, wurden Themen wie gemischte Herkunft, Identität und Einwanderung untersucht. TAPE hat sich auch an den Filmverleih gewagt und brachte 2022 im Vereinigten Königreich Cette Maison heraus, den Debütfilm der in Kanada lebenden haitianischen Filmemacherin Miryam Charles.
Offensichtlich hat TAPE einen weiten Weg zurückgelegt seit den Anfängen, „als Isra mit einem Projektor in einem Koffer, den sie sich aus einem Café in Streatham geliehen hatte, durch Peckham lief“, lacht Moneke. Auch wenn die beiden jetzt mehr Erfolg haben, wollen sie sich immer wieder vor Augen führen, „was es bedeutet, diese Verantwortung zu haben, Räume für unsere Gemeinschaft zu schaffen, damit wir das nicht vergessen“, sagt Al Kassi.
TAPE hat sich in Bezug auf die Denke des Publikums über Vielfalt und Repräsentation in der Kunst parallel zur allgemeinen Kultur entwickelt. Manche stellen die Langlebigkeit des Projekts infrage, sagt Al Kassi und bezieht sich dabei auf eine Person aus ihrem nahen Umfeld, die sagte: „,Wie lange willst du mit TAPE noch weitermachen, bevor du es dichtmachst?‘ Es gibt nichts zu schließen“, sagt sie und genießt die Freiheit eines Projekts, das von einer echten Leidenschaft für das Kino lebt, gemeinsam mit einer wachsenden Community. „Es ist wirklich ermutigend, diesen Space zu haben, in dem wir alle Entscheidungen selbst treffen können“, fügt Moneke hinzu. „Wenn es etwas gibt, das uns motiviert oder begeistert, dann setzen wir das auch um.“ Auslöser dafür ist im Grunde das, was Al Kassi als „Sch**ß-drauf-Mentalität“ bezeichnet: die feste Überzeugung, dass sie alles erreichen können und dass es keine Grenzen gibt.
Caitlin Quinlan ist eine freiberufliche Filmkritikerin aus London, die unter anderem für The Guardian, ArtReview, MUBI Notebook, Variety und W Magazine geschrieben hat.
